Ich bin jetzt schon fast bis Südfrankreich gekommen, will aber heute über Marienburg in Lettland berichten.
Ich hatte bis auf wenige Ausnahmen durchweg auf meiner Baltik-tour kühle Regentage und jeden Abend schlechte Nachrichten aus Deutschland mit einer nicht vorhandenen vierten Coronawelle. In Polen und den baltischen Staaten sah man das etwas entspannter. Komisch, dass das Virus völlig unterschiedlich in anderen Ländern agiert. Es scheint sich um ein ausgesprochen intelligentes Virus zu handeln, welches durchaus in der Lage ist, in Deutschland die Krankenhäuser zu füllen, das aber in Dänemark oder Schweden nicht macht. Sehr merkwürdig, es sollte nachdenklich stimmen.
Sei es drum. Nachdem ich die beiden Deutschen Ralf in Taurene und Steffen bei seiner Käserei besucht hatte, fuhr ich am 19. August weiter Richtung Norden. Mein Ziel war die Stadt Marienburg, im äußersten Nordosten Lettlands.
Der Name der Stadt stammt aus der Zeit des Deutschritterordens, welcher bis hier vorgedrungen war. Ich bekam jetzt erst eine Vorstellung davon, wie weit der deutsche Einfluss in der Vergangenheit reichte. Es war ein riesiges Reich.
Marienburg liegt am Aluksnesee. Aluksne ist auch der lettische Name Marienburgs. Ich fand einen ruhigen Parkplatz am Rande der Tempelhalbinsel, was mehr ein bewaldeter Hügel ist.
Ich nahm Lotte, die Kamera und marschierte los auf den Hügel. Der Tempel war mein erstes Ziel.
Auf einer Tafel war erklärt, dass dieser Tempel zu Ehren zweier Heerführer aus dem „Großen Nordischen Krieg“ errichtet wurde. Ehrlich gesagt, wusste ich überhaupt nichts über diesen Krieg und seiner Existenz. Ich musste erstmal nachlesen, als ich zurück am Wohnmobil war.
Dieser Krieg von 1700 – 1721, also über 20 Jahre, war eine Auseinandersetzung zwischen Russland, Sachsen-Polen und Dänemark-Norwegen gegen das schwedische Reich. Letztendlich unterlag Schweden der 3er Koalition nach 21 Jahren Krieg. Und ich hatte noch nie etwas davon gehört. Man lernt halt jeden Tag etwas dazu. Wer mehr darüber wissen will, kann dem Link oben folgen.
Eine der Schlachten des Krieges fand hier statt, ganz in der Nähe des Tempels waren Kanonen stationiert. Die Fundamente sind noch vorhanden.
Ich zog weiter zum Holzturm mit 140 Stufen. Unter dem Turm gab es eine Touristeninformation. Zwei Teenager arbeiteten darin. Sie erklärten mir, dass der Turm ein Feuerwachturm war, aber als solcher nicht mehr genutzt würde und jetzt den Touristen als Aussichtsturm zu Verfügung stand. Aber nicht umsonst: Ich zahlte einen Euro, um den Turm zu besteigen. Und das hat sich wirklich gelohnt – der reine Nervenkitzel.
Ich war gewarnt, da die Teenager sagten, bei Wind würden sie den Turm nicht betreten. Lotte wollte auch nicht hinauf, weshalb ich sie tragen musste. Schon auf der zweiten Zwischenetage begriff ich, worüber die Mädchen geredet hatten.
Ich bekam weiche Knie. Durch die Sprossen konnte man den Abgrund sehen, was nicht gerade zuträglich bei Höhenangst ist, die ich nicht ausgeprägt habe, aber sie spielt mir ab und zu Streiche. Und das tat sie jetzt ordentlich.
Ich konnte mich auch nicht wirklich festhalten, in der einen Hand Lotte und in der anderen die Kamera. Und oben wurde es dann ganz übel: Der Turm schwankte im Wind um 2 Meter hin und her. Ich hatte wirklich das Gefühl, gleich den Halt zu verlieren und meinem Ende entgegen zu sehen bei einem 30 Meter Freiflug. Ich legte die Kamera ab und suchte erstmal Halt. Als ich das Gleichgewicht auf dem schwankenden Turm gefunden hatte, schoss ich schnell ein paar Bilder und ging dann sehr behutsam hinunter. Das war eine wirkliche Herausforderung.
Wir gingen hinunter zum See und über eine kleine Brücke auf die Marieninsel, wo die Ruine der Marienburg stand. In den Resten der Burg von 1342 befindet sich jetzt ein Freilichttheater.
Ich schaute mich noch ein wenig im Ort um, aber es gab nicht wirklich viel mehr Sehenswertes.
Zurück am Wohnmobil beschloss ich, die wenigen Kilometer zur Grenze Estlands zu fahren und dort einen Stellplatz für die Nacht zu suchen. Da wusste ich noch nicht, dass ich am Abend noch ein weit aufregenderes Erlebnis haben würde, als die Besteigung des Turms. Aber das kommt in den nächsten Tagen…